1991 – 2005

Zur Vorgeschichte

Ausgelöst durch die Maßregelung des Schweizer Theologen Prof. Hans Küng wegen seiner Kritik am Unfehlbarkeitsdogma als eklatantestem Beispiel für den restriktiven Kurs des Vatikans unter Papst Johannes Paul II schlossen sich um 1980 in verschiedenen Ländern kritische Christinnen und Christen zusammen, um Gläubige gegen autoritäre Maßnahmen der Oberkirche zu schützen, so auch in Frankreich und Deutschland. !987 lud „Droits et Libertés dans les Eglises“ gemeinsam mit etwa 50 Initiativen und Gemeinden zu einem Forum nach Paris ein, an dem sich Katholiken und Protestanten, Ordensleute und TheologInnen aus 31 Departements beteiligten. Als Gastredner eingeladen war ich sehr beeindruckt von dem breiten Rückhalt, von dem wir Christenrechtler in Deutschland nur träumen konnten. Nur die holländische 8. Mei Beweging schien noch stärker im Kirchenvolk verwurzelt zu sein. Zu ihren jährlichen Treffen kamen damals ca. 15000 Menschen zusammen, um ihren Glauben zu feiern. Am Rande des Pariser Forums heckten Hubert Tournès von DLE und ich den Plan aus, Kontakt zu den Holländern aufzunehmen, um unsere Kräfte zu vereinen. Als wir uns 1989 am Rande des 8. Mei Treffens mit zwei Vertretern der AMB trafen – Hubert Tournès, Dorothea Nassabi, ich und zwei belgische Christenrechtler – war nicht im entferntesten abzusehen, welche Kreise unsere Initiative ziehen würde.

Die Gründung

Gegründet wurde das Europäische Netzwerk Kirche im Aufbruch im August 1991 in Eschborn/Deutschland auf Initiative von Kurt Bucher von der Schweizer Aufbruch-Bewegung, der zu dem Gründungstreffen eingeladen hatte. Im Januar 1991 hatte er in Eschborn am zweiten Treffen der 1990 im Dominikanerkloster in Huissen/Holland gegründeten „Europäischen Konferenz für Menschenrechte in der Kirche“ teilgenommen und die Beschränkung auf den Rechtsaspekt als zu eng empfunden. Ihm ging es um den umfassenden Austausch über zeitgemäße Formen christlichen Zusammenlebens. Allerdings hatte er Deutsch als einzige Sprache für seine Neugründung festgelegt, so dass die Teilnehmer/innen fast ausschließlich aus Deutschland, der Schweiz und Österreich kamen. Sehr inspirierend war die Teilname von Jupp Wagner, einem progressiven Pfarrer aus Luxemburg. An der Gründung beteiligt waren neben den Schweizern die „Achte Mei Beweging“(NL), die Aktionsgemeinschaft Kirche sind wir alle (A) und „Forum für eine offene Kirche“ (A), „Priester und Ordensleute für den Frieden (B) und die „Initiative Kirche von unten“ (D), zu deren Mitgliedsgruppen „Christenrechte in der Kirche“ gehört.

Die ersten Jahre

 

Da etliche Teilnehmer/innen sich aber weiter auch bei der Europäischen Konferenz für Menschenrechte engagieren wollten und sich von zwei Treffen in einem Jahr an verschiedenen Orten überlastet fanden, kam die Idee auf, beide Treffen nacheinander am gleichen Ort durchzuführen. Die 3. Europäische Konferenz für Menschenrechte zum Thema „Kirche in der demokratischen Gesellschaft“ und die 2. Konferenz des Europäischen Netzwerks Kirche im Aufbruch zum Thema „Entkonfessionalisierung des Christentums“ fanden im Januar 1992 nacheinander in Chur in der Schweiz statt, um sich mit den dortigen Katholiken zu solidarisieren, denen mit einem kirchenrechtlichen Trick ein ungewünschter erzkonservativer Bischof (Haas) aufgezwungen worden war (Die Szene, wie er nur über einen Menschenteppich von Protestierern in „seine“ Kathedrale gelangen konnte, war durch die Presse gegangen!). Völlig unerwartet konnten auch wir unsere Solidarität mit den Churer KatholikInnen sehr medienwirksam demonstrieren, denn ein Fernsehteam des BBC fragte kurzfristig an, ob wir keine Protestaktion geplant hätten, die sich zu filmen lohne. Spontan entschlossen wir uns zu einer Demonstration mit englischsprachigen Plakaten und einem Friedhofskranz zur bischöflichen Residenz und, weil wir dort niemand antrafen, zur Kathedrale, wo wir den Kranz auf dem Bischofsthron deponierten..

1993 fanden die 3. Konferenz des Europäischen Netzwerks Kirche im Aufbruch in Salzburg und – letztmalig getrennt - die 4. Europäische Konferenz für Menschenrechte in der Kirche im Dominikanerkloster L'Arbrèsle bei Lyon statt. Einer der Teilnehmer in L'Arbrèsle war Pater György Bulányi, der Begründer der ungarischen Basisbewegung „Bokor“, die in kommunistischen Zeiten u.a. wegen der konsequenten Kriegsdienst-verweigerung ihrer Mitglieder vom Staat und von der kirchlichen Hierarchie verfolgt wurde.

1994 4. Europäischen Netzwerks Kirche im Aufbruch und 5. Europäische Konferenz für Menschenrechte in der Kircher in Brüssel zum Thema „Kirche ohne Macht“. Verabschiedung einer fünfseitigen Erklärung der Menschenrechte in der katholischen Kirche (Siehe Anhang). An der gemeinsamen Konferenz nahm Prof. Leonard Swidler von der US-amerikanischen „Association for the Rights of Catholics in the Church“ teil, der eine internationale Kooperation zur Erarbeitung einer demokratischen Verfassung für die katholische Kirche vorschlug.

1995 fand die Konferenz des Europäischen Netzwerks Kirche im Aufbruch auf Einladung der Bokor-Bewegung in Budapest statt. Die Begegnung mit Christinnen und Christen, die im Untergrund und in der Verfolgung durch das kommunistische Regime und durch die mit diesem kollaborierende Hierarchie ihren Glauben lebten, hat alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer tief beeindruckt. In einer gemeinsamen (Presse)Erklärung protestierte das Europäische Netzwerk Kirche im Aufbruch gegen die Amtsenthebung von Bischof Jacques Gaillot von Evreux und forderte seine Rehabilitierung (Siehe Anhang)

1996 traf sich das Europäische Netzwerk Kirche im Aufbruch mit dem Thema „Mission und Dienst im 3. Millennium“ in London. Höhepunkt waren sicher die Berichte über die Kirchenvolksbegehren in Östereich und Deutschland mit ca. 500000 bzw 1,8 Millionen Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern, ursprünglich ausgelöst durch den Skandal um den sexuellen Missbrauch von Seminaristen durch Kardinal Groer. Auch aus anderen europäischen Staaten wurde von entsprechenden Unterschritenaktionen berichtet (Belgien, Frankreich, Holland ...).

1997 Brescia: 7. Jahreskonferenz des Europäischen Netzwerks Kirche im Aufbruch und 8. Europäische Konferenz für Menschenrechte in der Kirche. Aufnahme neuer Mitgliedsgruppen: Wir sind Kirche Östereich und Deutschland, Nous sommes aussi Eglise/Frankreich, Brothers & Sisters in Christ/Irland, Associazione Partenia/Italien und Catholic Women's Network, Catholic Women's Ordination, St. Joan's International Alliance (GB Section)/Großbritannien. Als Gastredner und Impulsgeber waren Bischof Gaillot und der ehemalige Abt von St. Paul vor den Mauern in Rom Giovanni Franzoni eingeladen. An dem Treffen nahm auch der tchechische (als Veheirateter geweihte) Geheimbischof Fridolin Zahradnik teil. Ein Schwerpunktthema sowohl in den getrennten als auch den geimeinsamen Sitzungen war die Frauenordination auf dem Hintergrund der Erklärung der Europäischen Frauensynode von Gmunden/Österreich (Siehe Anhang)

1998 in Ambt-Delden/Holland war naheliegenderweise das Thema Ökologie und Umgang mit den Mitgeschöpfen ein Thema, aber auch die nicht abreißende Folge von Maßregelungen missliebiger Theologinnen und Theologen, aktuell des srilankischen Theologen Tissa Balasuriya, der exkommuniziert wurde, weil er Maria nicht als Himmelskönigin, sondern als Mutter eines politischen Gefangenen bezeichnet hatte.

1999 fand die Jahreskonferenz des Europäischen Netzwerks Kirche im Aufbruch im Kloster St. Elisabeth der Kongregation der Anbeterinnen des Blutes Christi in Schaan/Liechtenstein statt. Die Schwestern hatten sich an der Gründung des „Vereins für eine offene Kirche“ beteiligt, zu dem sich 1000 von 31000 Einwohnern von Liechtenstein zusammengeschlossen hatten, nachdem ihnen der in Chur nicht mehr tragbare Bischof Haas als Erzbischof aufoktroiert worden war. Der Konferenz wurde eine „Verfassung für die katholische Kirche“ vorgelegt, die auf Anregung von Prof. Leonard Swidler von der US-amerikanischen „Association for the Rights of Catholics in the Church“ in einer Arbeitssitzung in Eschborn mit ihm zusammen ausgearbeitet worden war. Es gab breite Zustimmung, aber auch Vorbehalte besonders aus Österreich, weil sie das bisher gute Verhältnis von „Wir sind Kirche Österreich“ zu den Bischöfen des Landes gefährden könne. Deshalb wurde die Zustimmung den einzelnen Mitgliedsorganisationen freigestellt. Auf Wunsch der Gastgeber wurde auf eine geplante Demonstration gegen fragwürdige Praktiken Liechtensteiner Banken (Steuervermeidung durch Briefkastenfirmen/ Geld-wäsche) verzichtet.

2000 Schmiedeberg/Deutschland. Thema: „Menschen zwischen Grenzen: Illegalität, Prostitution, Menschenhandel“. An der Grenze zu den früheren Ostblockstaaten Polen und Tchechien hat sich ein Straßenstrich herausgebildet. Frauen werden sexuell ausgebeutet. Mit Referentinnen verschiedener Hilfsorganisationen wurde die Problematik erörtert. Eine Demonstration am deutsch-tchechischen Grenzübergang sollte auch die Öffentlichkeit auf diesen unhaltbaren Zustand aufmerksam machen. Der Tagungsort sollte auch eine Einladung an unsere osteuropäischen Freundinnen und Freunde sein, die sich die Anreise und Teilnahme an früheren Konferenzen nicht leisten konnten.

2001 Versailles/Frankreich. Das Thema „Neoliberalismus und Kirche“ wurde durch René Passet, den Vorsitzenden des Wissenschaftsrats von ATTAC vorgestellt. Hauptziel dieser Organisation ist, durch eine Finanztransaktionssteuer die Spekulation an den Börsen zu bremsen. Alain Durand, Herausgeber der Lateinamerika-Zeitschrift DIAL berichtet über Folgen des Neoliberalismus für die dortigen Länder. In Frankreich haben sich schon 1999 30 Organisationen vernetzt und eine gemeinsame Zeitschrift „Parvis“ (= vor der Kirchentür) gegründet.Das Europäische Netzwerk erklärt seine Unterstützung der von Women's Ordination Worldwide im Juni 2001 in Dublin durchgeführten Konferenz zur Frauenordination und beschließt, sich an der im Oktober 2001 parallel zur Weltbischofs-synode in Rom geplanten „Schattensynode“ des Kirchenvolks“ zu beteiligen.


2002 Woking/GB, Mit Hilfe eines Fragebogens soll die Arbeit an einer demokratischen Verfassung für die katholische Kirche vorangetrieben werden. Anlässlich eines festlichen Abendessens mit geladenen Gästen hielt Bischof Emeritus Kalilombe aus Malawi als Patron der Organisation „Catholics for a Changing Church“ eine Begrüßungsrede, in der er sich voll und ganz mit den Zielen des en identifizierte. Zu den eingeladenen Gästen gehörten Repräsentanten der Moscheegemeinde von Woking.

2003 Brüssel/Belgien. Hauptthema war „Demokratie in der Kirche“. Referate dazu hielten Ignace Berten o.p. und Prof. Rik Torfs, Prof. für Kanonisches Recht an den Universitäten Leuven und Straßburg sowie Myriam Tonus, Journalistin und Bildungsbeauftragte am Centre de Recherche et de Formation en Théologie der Diözese von Tounai zum Thema „Die Rolle der Frau in Kirche und Gesellschaft. Terrie Light, Mitbegründerin des Netzwerks von Überlebenden des sexuellen Missbrauchs durch Priester SNAP berichtete über ihre eigenen Erfahrungen und die Gründung von SNAP als Selbsthilfeorganisation nach 5000 Anfragen im Internet. In der anschließenden Diskussion wurde aus mehreren Ländern berichtet, dass missbrauchende Priester durch Versetzung in andere Gemeinden, eventuell auch in anderen Länder, vor Strafverfolgung geschützt würden ohne Rücksicht auf weitere Opfer. Neue Mitgliedsgruppe: Catholics for Free Choice Europe.

2004 Rüschlikon/Zürich/Schweiz. Thema „Alter Wein in neuen Schläuchen“. Eine andere Kirche ist möglich. Wie können basis-kirchliche Bewegungen dazu beitragen? Das Netzwerk der Basisgemeinden von Madrid und die spanische Wir-sind-Kirche-Bewegung werden Mitglieder (Schon im Vorjahr waren die katalanischen Collectiu de Dones en l'Esclesia beigetreten). Die Spanier bringen u.a. ihre engen Beziehungen zu Lateinamerika in das en ein.

2005 Madrid/Spanien. Im Kontext der Ratifizierung des Europäischen Verfassungsvertrags bekräftigte das Europäische Netzwerk sein staatsbürgerliches Engagement für ein auf Menschenwürde, Solidarität und die Achtung religiöser und kultureller Verschiedenheiut gegründetes Europa. Es wurde der Beschluss gefasst, sich um Akkreditierung als Nichtregierungsorganisation beim Europarat zu bemühen, nachdem das Europäische Netzwerk Kirche im Aufbruch bereits seit 2002 zu den Treffen der katholischen NGOs beim Europarat eingeladen wurde. An dem Studientag zum Thema der Konferenz: „Eine andere Welt ist möglich mit einer Kirche ohne Genderdiskriminierung“ nahmen über 200 Delegierte einer Vielzahl von Gruppen und Gemeinschaften aus allen Teilen Spaniens teil.

Anmerkung: Dies ist nur eine sehr pauschale Aufzählung einiger weniger Aspekte unserer Jahreskonferenzen. Der Austausch über die Situation in den einzelnen Ländern ist ein wesentlicher Teil aller Treffen. Die Berichte wurden in mehrsprachigen Rundbriefen, den „Euro News“ gesammelt.

Gerd Wild, Initiative Christenrechte in der Kirche, Deutschland